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2. Klasse - Schuljahr 2007/2008

Schule ohne Tische und Stühle – geht das?

Das „Bewegliche Klassenzimmer“

Zunehmend beklagen Ärzte und Pädagogen motorische Defizite und mangelnde Beweglichkeit schon bei  Grundschülern. Eine Ursache: unsere Kinder bewegen sich viel zu wenig!
Im Erleben kleiner Kinder wird deutlich, dass Bewegungsmöglichkeiten und Bewegungsfähigkeiten wesentliche Grundvoraussetzungen für das kindliche Lernen sind. Auch ein Schulkind lernt in den ersten Jahren Vieles durch und in Bewegung und nicht in erster Linie in äußerer körperlicher Ruhe. Der Zusammenhang zwischen Lernen und Bewegung wird in den letzten Jahren auch zunehmend durch die moderne Hirnforschung bestätigt.

An der Waldorfschule wurde schon immer versucht, den Unterricht bewegt und handlungsorientiert zu gestalten. Für die erste bis dritte Klasse geht die Freie Waldorfschule Würzburg (wie viele andere Waldorfschulen auch) nun noch einen Schritt weiter:
Seit Januar 2007 wurden in den ersten zwei Klassen (inzwischen sind es drei) Tische und Stühle durch stabile Sitzbänke ersetzt, die in vielfacher Weise Bewegungsspielen dienen und je nach Bedarf im Halbkreis, in kleineren Gruppen oder in Reihen angeordnet werden. Auch ein Teppich, der bei Bedarf weggerollt werden kann, lädt zum Sitzen oder Turnen ein. Beim Schreiben und Malen sitzen die Kinder auf einem dicken Kissen vor der Bank, die nun als Tisch dient. Je zwei Kinder teilen sich ein kleines Regal für die Straßenschuhe und Schulranzen.

Morgens kann mit den Bänken ein Geschicklichkeitsparcour aufgebaut werden; die Bänke werden umgedreht zum Schwebebalken.
Rasch lässt sich anschließend mit den Bänken ein Kreis stellen: Die Kinder können sich untereinander sehen, zu- und miteinander sprechen, Aufgaben gemeinsam lösen – die Bänke sind jetzt Sitzgelegenheiten. Der freie Raum in der Mitte kann genutzt werden – für das Legen von Formen, Buchstaben und Zahlen mit den Kissen oder anderen Elementen, für das Arbeiten damit in Bewegung u.v.m.. Alle Kinder können sehen, was geschieht.

Wird an der Tafel und im Heft gearbeitet, können die Bänke in Reihen gestellt und als Arbeitstische verwendet werden, an denen die Kinder auf den Sitzkissen Platz nehmen. Zum abschließenden Erzählen kommen alle wieder im Kreis zusammen und lassen den Unterricht gemeinsam ausklingen.
Die Lehrer dieser drei Klassen erleben diese mobile Klassenzimmereinrichtung als eine echte Bereicherung:

–    Außerhalb und innerhalb des Unterrichtes bietet sie den Kindern vielseitige Bewegungsmöglichkeit.

–    Der Kontakt der Schüler untereinander – und zum Lehrer – ist intensiver.

–    Der Lehrer kann z.B. bei Bewegungsübungen die ganze Gestalt des Kindes wahrnehmen.

–    Beim Lernen im Kreis scheinen die schwächeren Schüler von der Konzentration der stärkeren besser mitgetragen zu werden.

–    Das Umräumen der Bänke wird nicht als verlorene Zeit, sondern als Übungsfeld erlebt, wahrzunehmen, wo gerade der Handgriff des Einzelnen nötig ist, um die jeweils nötige Ordnung herzustellen.

Bedenken und Fragen, die bei einzelnen Lehrkräften der Schule vorhanden sind:

1.    Es gibt in jeder Klasse meist zwei bis drei Kinder, die „eingeklemmt zwischen Tisch und Stuhl“ besser stillsitzen können.

2.    Es gibt Kinder, die lieber ihren festen, abgegrenzten Platz haben.
3.    Kann es nicht Rückenprobleme geben, wenn die Kinder den ganzen Vormittag über sich nicht anlehnen können?

4.    Das Sitzen mit gespreizten Unterschenkeln ist auf die Dauer für die Hüften ungesund. Besteht nicht die Gefahr, dass Kinder vor ihren Bänkchen diese Haltung einnehmen?

Dazu die Erfahrung:

Zu 1. und 2.:
Das ist sicher so, aber die Vorteile – zumal für die Mehrzahl der Schüler – überwiegen deutlich.

Zu 3.:
Das müsste eine genauere Untersuchung erst noch zeigen. Es könnte auch gerade umgekehrt sein: Dadurch, dass sich der Rücken selber stützen muss, wird er stärker.

Zu 4.:
Die Zeit, in der die Kinder vor ihren Bänken sitzen, ist relativ kurz. Auch wechseln sie von sich aus öfter die Sitzhaltung. Dadurch und durch die vermehrte Bewegung werden sicher die Folgen einer ungesunden Haltung ausgeglichen.

Dieses Konzept ist kein Schulkonzept, d.h. jeder Klassenlehrer hat die Freiheit, sich für das herkömmliche oder bewegliche Mobiliar zu entscheiden.

Ulrike Hünig (L)

 

Ein Vormittag im „Bewegten Klassenzimmer“ ist ein Erlebnis!

Hospitation in der 2. Klasse

Voller übersprudelnder Aktivität kamen die Kinder zurück vom Wochenende.
Nach lebhafter gegenseitiger Begrüßung ließ die Schulglocke die Kinder pünktlich auf ihrem festen Platz auf ihren Bänken einfinden. Die Kreisanordnung der Bänke ermöglichte es, dass jeder jeden sehen konnte. Gespannt lauschten die Kinder den Erzählungen Einzelner von deren Wochenende und ergänzten fröhlich eigene Erlebnisse. So fanden sich alle in den wohlvertrauten Rhythmus des Montag Morgens ein. Mit großem Eifer wurden Lieder und Reime (in deutscher wie auch in französischer Sprache) mit Bewegungen begleitet, wobei die ganze freie Fläche des Klassenzimmers genutzt wurde. Die Kinder hatten dabei ihre Freude, doch für mich als Ungeübte verlangte dies doch einige koordinatorische Leistung.

Die Geschichte von Martin und dem Bettler, deren „Handlung“ die Kinder während der letzen Wochen im Nachspielen erleben durften, wurde nun in ein selbstgestaltetes Buch von der Tafel abgeschrieben. Dafür wurde kurzerhand die Kreisformation der Bänke in „Schreibreihen“ umgewandelt. Es war köstlich mitanzuschauen, wie die Kinder immer zu zweien emsig ihre Bank an den vorgesehenen Platz stellten. Das kurzfristige Gewimmel löste sich erstaunlich schnell wieder in Ordnung und Ruhe auf. Nur Einzelne, die im Eifer schon zu Schreiben begannen, mussten noch einmal aufstehen, weil sie ihr Sitzkissen, ein prallgefülltes Dinkelkissen, vergessen hatten. Während dieser Stillarbeit  waren die Kinder damit beschäftigt, ihren Druckbuchstaben den nötigen Feinschliff wie Größe und Abstand  zu geben. Da das Schreibtempo variierte, durften die Kinder, die mit dem Abschreiben schon fertig waren, ein Bild zur Handlung malen. Ganz rührend stimmten dabei einzelne Kinder leise das Martinslied an. Einige arbeiteten still weiter, andere stimmten mit ein – keiner fühlte sich dadurch gestört. Das war wirklich schön!

Nach den aktionsreichen Fachstunden Englisch und Handarbeit traf sich die Gesamtklasse wieder gemeinsam im Klassenzimmer. Zum Abschluss des Vormittages durfte es sich jeder  mit einem Kissen auf dem riesigen weichen Teppich bequem machen, um einer Geschichte zu lauschen. „Wir wollen erst die andere Geschichte zu Ende hören!“, bekam Frau Hünig mehrstimmig zu hören, als sie gerade ansetzte. Nur noch vereinzeltes Rascheln der Dinkelkissen war zu hören, als die „alte“ Geschichte weitererzählt wurde. Gespannte Ruhe löste sich in andächtige Stille. Es war eine wahrlich schöne Geschichte, nach deren Ausgang die Kinder so „seelenhungrig“ verlangten...

Erst das lebendige „Chaos“ im Gang auf dem Weg nach draußen ließ  erahnen,  welche Energie während des Unterrichts in fruchtbare Bahnen gelenkt wurde und welches pädagogische Geschick dabei tagtäglich zum Einsatz kommt!

Liebe 2. Klasse, liebe Frau Hünig! Danke für diesen beeindruckenden und ereignisreichen Vormittag!

«Ohne Begeisterung schlafen die besten Kräfte unseres Gemütes. Es ist der Zunder in uns, der Funken will.» J.G.Herder

Anke Schäfer (E)

 

Ausflug in den Guttenberger Forst

Schwimmen bei Familie Hünig