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10. Klasse - Schuljahr 2008/2009

Vermessungspraktikum

Seit zwei Jahren ist unser Vermessungspraktikum in zwei Teile aufgeteilt: im ersten Teil erlernen wir eine Woche lang das Vermessen in unmittelbarer Nähe der Schule, anschließend geht es eine Woche lang ins Schullandheim, um dort das Erlernte anzuwenden, und zwar möglichst an einem konkreten Projekt.

Dabei ist es uns wichtig, dass die Schüler Messverfahren kennenlernen, die für sie ganz durchschaubar sind. Also verwenden wir keine Blackbox, die auf Tastendruck Abstand, Peilungswinkel, Höhenunterschied zum angepeilten Punkt und dazu vielleicht auch noch seine weltweiten Koordinaten (Global Positioning System) liefert, sondern suchen die elementaren Erfahrungen auf, auf denen das Vermessen beruht:

  • Als erstes wird das Vermessungsgelände einmal zu Fuß umrundet, damit ein Bild von der Gesamtaufgabe entsteht. Dabei werden „Festpunkte“ im Gelände von uns festgelegt, benannt und in einer groben Skizze erfasst.
  • Im zweiten Schritt bekommt jede Gruppe ein Stück des Festpunktnetzes, z.B. ein Polygon (Vieleck) aus 6 Punkten zugeteilt. Die Schüler schreiten es mehrmals ab und erarbeiten sich so mit Kompass und Schrittmaß ein maßstäbliches Bild (Croquis) dieses Polygons.
  • Um das Polygon genau zu erfassen, werden Strecken – jeweils von Festpunkt zu Festpunkt – ausgesucht, die man gut messen kann und auf denen sich die weitere Messung/Berechnung aufbauen lässt. Diese Strecken messen wir mit 5-Meter-Latten, die sorgfältig aneinander gelegt, in der Neigung bestimmt und abgezählt werden. Dabei muss die Strecke in beiden Richtungen gemessen werden und der Unterschied darf nur gering sein (3 cm bei 100 m Länge).
  • Die Winkel werden jetzt mit dem Theodolit gemessen, einem schwenkbaren Fernrohr, das mit einer Winkelskala verbunden ist. Dieses Gerät muss genau über dem Messpunkt, der den Scheitel des Winkels bildet, ins Lot gebracht werden. Dann werden die Zielpunkte nacheinander mit dem Fernrohr genau in der Mitte erfasst und jeweils die Winkelskala abgelesen. Auch da wird wenigstens zweimal gemessen, um Ablese- oder Einstellfehler zu entdecken. Mit dem Theodolit lassen sich Winkel 1000-mal genauer messen als mit dem Kompass.
  • Durch Berechnung erhält man dann die noch nicht erfassten Winkel und Strecken und kontrolliert dabei die Messungen, sobald 4 oder mehr Stücke im Dreieck gemessen wurden. Hier wenden die Schüler die zuvor gelernten Lehrsätze und Aufgaben der Trigonometrie an. Welch ein Segen, dass nicht alle Strecken, die über Stock und Stein, Böschungen, Steilabstürze führen, gemessen werden müssen ...
  • Das von jedem Schüler genau konstruierte Polygon seiner Gruppe wird mit den Ergebnissen der anderen Gruppen zum gesamten Festpunktnetz zusammengefügt.
  • In dieses Netz künstlich ins Gelände gesetzter Punkte wird anschließend das wirklich vorhandene Gelände eingemessen und eingezeichnet: Von jedem wichtigen Geländepunkt wird das Lot auf eine Festpunktstrecke gefällt – da fällt tatsächlich ein Lot zu Boden! Hilfsmittel ist dabei ein Winkelspiegel, mit dem der Blick genau im rechten Winkel abgelenkt wird.  Lotstrecke und Abstand des Lotfußpunktes zum nächsten Festpunkt werden dann mit dem Maßband gemessen. Hier dürfen die Maße auf 10 cm gerundet werden, da sie keine Auswirkung auf weitere Punkte haben. Das Einzeichnen und Verbinden dieser Geländepunkte bringt den eigentlichen Lageplan, braucht aber viel weniger Zeit als das Erfassen des Festpunktnetzes.
  • Um die Höhen des Geländes zu erfassen, erfragen wir den amtlichen Amsterdamer Normal-Null-Wert eines Messbolzens und übertragen mit Hilfe des Nivelliergeräts und einer senkrecht gestellten Messlatte diese Höhe bis ins Gelände und dort von Punkt zu Punkt. Das Nivelliergerät besteht aus einem Fernrohr, das sehr genau waagerecht gestellt werden und horizontal gedreht werden kann. Die so bestimmten Höhen werden im Plan als Zahlen eingetragen, oft auch zu Geländeschnitten oder Höhenlinien verarbeitet.

Die pädagogische Bedeutung liegt zum einen darin, dass die Schüler ein Stück Land ganz selbständig in einem Plan erfassen, also selbst eine Art Landkarte erstellen und anschließend natürlich auch besser Karten lesen können. Sie erschließen sich also enaktiv hier ein Stück unserer Kultur.
Zum andern gibt es hier endlich einmal einen Bereich, in dem Mathematik als wirklich sinnvoll, notwendig und arbeitssparend erlebt werden kann.
Schließlich gelingt die Arbeit nur, wenn die Schüler in ihrer Gruppe gut und verantwortlich zusammenarbeiten und für die ganze Klasse ein einwandfreies Stück Arbeit zur Verfügung stellen. In diesem Bereich der Teamarbeit liegt vielleicht sogar das größte Übungsfeld.
Für das Vermessungspraktikum im Juni 2009 gab es diesmal eine besondere Aufgabe, nämlich die Lagevermessung von Steinwällen und Steinpodesten auf der Pollershöhe bei Dammbach im Spessart.
Durch Kontakt mit Dr. Himmelbach, der das Archäologische Spessartprojekt betreut, erfuhren wir, dass die Vermessung dieser Steinsetzungen bislang nicht geglückt war, weil man im Wald mit den GPS-Geräten keine verlässlichen Werte erhält – also bleibt nur der herkömmliche Weg des Vermessens übrig, den wir in unserem Praktikum mit den Schülern erlernen und anwenden.
Über die Entstehung und Nutzung dieser Trockenmauern aus Stein weiß man bislang noch nicht viel. Derzeit läuft eine Altersanalyse, die von der Universität Frankfurt durchgeführt wird. Bodenproben haben gezeigt, dass es überwiegend nichts mit Köhlerei zu tun hat. Es wird vermutet, dass es sich um Kleinterrassen für Weinbau in der mittelalterlichen Warmzeit gehandelt haben könnte.
Von dem gesamten Gebiet haben wir diesmal etwa ein Viertel vermessen können. Die Pläne gingen an den Spessartbund, die Gemeinde Dammbach und an die Universität Frankfurt. Wir freuen uns darauf, auch mit der nächsten Klasse eine echte Aufgabe zu haben, auch wenn der Anmarsch zum Gelände etwas aufwändig ist.
Zur Freude der Schüler haben wir vom Heimatverein Bauwagen und Getränke erhalten, dazu wurden wir von der Gemeinde mit Freikarten für den öffentlichen Bus versorgt.
Alles in allem ein reichhaltiges Erlebnis.
Albrecht Häberlein (L)